Karlsruhe, 09.07.2019 - Der Umgang mit großen Datenmengen ist die zentrale Herausforderung für Unternehmen und Institutionen. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit Semantischer Künstlicher Intelligenz. Im Vorfeld der SEMANTiCS 2019, die vom 9.-12. September in Karlsruhe stattfindet, stellen vier international renommierte Wissenschaftler zukunftsträchtige Anwendungsbeispiele vor.
Einer meiner spannendsten und bewegendsten Anwendungsfälle ist die Behandlung von älteren Menschen mit Demenz. Wir wollen ihnen helfen, die Degeneration kognitiver Fähigkeiten, bspw. ihres Erinnerungsvermögens, zu verlangsamen. Die Situationen der Erkrankten haben mich sehr berührt – sie wünschen sich so sehr, ihre Erinnerungen zu behalten, um die gemeinsame Zeit mit ihren Lieben nicht zu vergessen. In Zusammenarbeit mit Psychologen und Ärzten haben wir personalisierte Wissensgraphen entwickelt. Diese sind mit Multimedia-Inhalten wie Fotos und Liedern verbunden, die der Roboter verwendet, um mit den Patienten zu interagieren und ihnen zu helfen, sich an Orte, Menschen, Ereignisse usw. zu erinnern. Auch wenn es noch ein langer Weg ist, bis diese Art von Anwendungen reibungslos funktionieren, stieß der von uns entwickelte Prototyp auf sehr gute Resonanz. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich merke, dass meine Arbeit wirklich Leben verändern und Menschen, die schon die Hoffnung aufgegeben hatten, glücklich machen kann.
Valentina Presutti, Semantic Technology Laboratory des Nationalen Forschungsrates (CNR) in Rom
KI-Anwendungen werden beispielsweise in der Bildanalyse seit mehr als fünf Jahren eingesetzt. Siemens Healthineers hat hier Pionierarbeit geleistet und arbeitet an vielen zukünftigen Anwendungsfällen.
Ganz allgemein würde ich sagen, dass die Datenlage im medizinischen Bereich genauso gut oder schlecht ist wie in jedem anderen Sektor. Die Qualität missionskritischer Daten ist hoch, der Rest ist weniger gut gepflegt. Anders sieht es in klinischen Studien aus, in denen Personal bezahlt wird, um eine hohe Qualität der studienrelevanten Daten zu gewährleisten. Dieser Prozess kann zwar teilweise automatisiert werden, beinhaltet aber immer auch ein hohes Maß an manueller Tätigkeit.
Ich bin fest davon überzeugt, dass Wissensgraphen immer wichtiger werden. Wie im Medizinbereich bestehen die meisten Domänen aus unstrukturierten Daten (Sensordaten, Bilder) sowie strukturierten Daten (Diagnose, Verfahren, Laborergebnisse, Blutwerte). Grob gesagt fallen strukturierte Daten in das Gebiet von Wissensgraphen und unstrukturierte Daten in den Bereich von Deep Learning. Eine Herausforderung ist es, beide miteinander in Verbindung zu bringen. Daran arbeiten wir.
Volker Tresp, Distinguished Research Scientist bei Siemens
Ich bin seit 20 Jahren Professorin an der University of California, Los Angeles (UCLA) und habe 35 Jahre lang bei der Regierung gearbeitet. Die Data Science Federation (DSF) stellt einen innovativen Weg dar, positive soziale Veränderung zu ermöglichen, indem sie Wissenschaftler, also Studenten und Professoren, mit Stadtverwaltungen zusammenbringt. Ziel ist, der Politik mithilfe von Daten bessere Informationen zur Verfügung zu stellen. Die DSF unterstützt viele verschiedene Menschen:
Es gibt drei Prozesse, die Städte unbedingt automatisieren sollten:
Jeanne Holm, stellvertretende CIO der Stadt Los Angeles
Mit fortschreitender Digitalisierung werden viele Datensätze zum kulturellen Erbe im Internet veröffentlicht. Vor kurzem haben verschiedene Organisationen damit begonnen, ihre Sammlungen als Linked Data herauszugeben. Beispiele dafür sind das Rijksmuseum Amsterdam, die Deutsche Nationalbibliothek oder die vielen Wörterverzeichnisse und Datensätze des Getty-Instituts.
Da immer mehr dieser sehr heterogenen (Meta-)Daten online veröffentlicht werden, stellen sich Fragen nach deren Interoperabilität. Als Anwender möchten wir bspw. die Zusammenhänge zwischen einem Dokumentarfilm über Pablo Picasso, seinen Gemälden in Pariser Museen und Archivdokumentationen über sein Leben erkunden können. Wissensgraphen können dort eine wichtige Rolle spielen, wo explizite Semantiken zur Darstellung der Bedeutung von Objektmetadaten verwendet werden und semantische Verknüpfungen zwischen Datensätzen diese Datensätze integrieren. Geteilte Wörterverzeichnisse, wie sie von Getty veröffentlicht werden, können als Sprungbrett verwendet werden, um Objekte aus verschiedenen Sammlungen und Datenmodellen zu verknüpfen. Datenmodelle, wie das Europeana Data Model, Dublin Core sowie CIDOC-CRM können verwendet werden, um Metadaten zu strukturieren und gemeinsame Semantiken zu definieren.
Eine spezifische Verwendung für solche semantisch vernetzten Kulturerbe-Daten findet sich in den Digital Humanities. Die Digital Humanities sind ein junges, aufstrebendes Feld, in dem Forscher und Praktiker aus den Bereichen Informatik, kulturelles Erbe, Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften zusammenkommen. Durch die Zusammenführung von bisher nicht miteinander verbundenen Datensätzen werden neuartige Analysen und Forschungsfragen möglich.
Beispiele für Projekte der Digital Humanities, die semantische Technologien verwenden, sind die der Aalto-Universität in Finnland, das Linked Jazz-Projekt oder die Forschungsinitiative "Audio-Visual Rhetorics of Affect", die sich mit der semantischen Annotation von audiovisuellen Daten beschäftigt.
Das DIVE-Projekt, an dem ich mitgearbeitet habe, führt heterogene Datensätze aus dem Kulturerbe zusammen und macht diesen Wissensgraphen erfassbar über eine explorative Schnittstelle, die den Anforderungen und der Forschungspraxis von Geisteswissenschaftlern entspricht.
Victor de Boer, Assistenzprofessor in der User-Centric Data Science Group am Fachbereich Informatik der Vrije Universiteit Amsterdam (VU)
Die SEMANTiCS ist europaweit die einzige Konferenz, die zugleich EntscheiderInnen aus Industrie und Verwaltung sowie EntwicklerInnen, ForscherInnen und IT-BeraterInnen anspricht. Gegründet im Jahr 2005 thematisiert sie im Rahmen zahlreicher Vorträge, Workshops und Diskussionsrunden, welche konkreten Anwendungen in unterschiedlichen Branchen mittels semantischer Technologien bereits realisiert werden bzw. zukünftig zum Einsatz kommen.
Die diesjährige Veranstaltung wird gemeinschaftlich organisiert durch die Semantic Web Company, FIZ Karlsruhe – Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur GmbH, Fachhochschule St. Pölten Forschungs GmbH, KILT Competence Center am Institut für Angewandte Informatik e.V. und die Vrije Universiteit Amsterdam.